Hilfsaktion: Hochwasser Ungarn 1970 - Einsatz zur Unterstützung einer Einsatzgruppe der Wasserwirtschaft
Raimund Schliebs erinnert sich:
Im Frühsommer 1970 erlebten viele Balkanstaaten schwere Hochwasser. Jugoslawien,
Rumänien und Ungarn waren besonders betroffen.
In Abstimmung mit der Regierung der DDR wurde das Präsidium des DRK der DDR
beauftragt, seinen Hilfszug für einen Einsatz in Rumänien vorzubereiten. Es wurde für
unsere Einrichtung die "erhöhte Einsatzbereitschaft" angeordnet, das heißt die gesamte
Technik des DRK-Hilfszuges einschließlich seiner Staffelbereiche Mitte (Magdeburg) und
West (Erfurt) wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Neben den hauptamtlichen Kräften
wurden ca. 60 ehrenamtliche Kameraden mobilisiert, die für eine erste Einsatzgruppe vorgesehen
waren. Alle notwendigen Dokumente für die Reisepapiere waren in der Zentrale
des Hilfszuges vorliegend, bzw. wurden sofort zugesandt. Das gesamte Einsatzmaterial
für die Betreuung von ca. 1000 Geschädigten , also Zelte, Betten mit 4 mal Bettwäsche
pro Bett, Liegen, Decken Ersatzbekleidung für Geschädigte (Trainingsanzüge),
Hygieneartikel bis zur Zahnbürste, die gesamte medizinische Ausrüstung einschließlich
OP-Zug, alle Küchenfahrzeuge und Feldküchen, Nachrichtentechnik, Stromaggregate,
Zeltheizungen, Schlauchboote mit Außenbordmotor, Schutzbekleidung für die
Einsatzkräfte - alles, was an Katastrophenschutzmaterial beim Hilfszug des DRK
eingelagert war, wurde sofort auf unsere Fahrzeuge verladen. Geordert wurde eine
Vollversorgung an Lebensmitteln für ca. 90 Einsatzkräfte für einen Zeitraum von
wenigstens drei Wochen (dann könnten Nachlieferung organisiert werden), im Zentrallager
des DRK der DDR wurden weitere Hilfsgüter, wie Decken, Kinderkleidung, Bau-
Werkzeuge bereitgestellt, die bei einer Anfahrt zur Grenze noch zugeladen werden
sollten . Wir meldeten die Einsatzbereitschaft und warteten auf den Fahrbefehl Richtung
Rumänien, wo die Situation von Teilen der Bevölkerung laut Presseberichten immer
dramatischer wurde.
Der Einsatzauftrag kam nicht!
Die Regierung der Sozialistischen Republik Rumänien unter Nicolae Ceausescu lehnte ein
Hilfsangebot der ("befreundeten") Regierung der DDR ab (Hilfeleistungen aus dem
kapitalistischen Ausland wurde jedoch angenommen).
Für uns hieß das, die Einsatzbereitschaft wurde zurück gestuft, alle Fahrzeuge und
Materialien wurden wieder abgeladen, die zusätzlichen Einsatzkräfte wurden nicht
einberufen. Lediglich 4 oder 5 Güterwaggons wurden in Leipzig mit Hilfsgütern beladen
und auf Reise geschickt.
Im Objekt des DRK-Hilfszuges trat die übliche Arbeitsatmosphäre wieder ein. 14 Tage
nach dieser "Einsatzübung" trat ich meinen schon länger geplanten Jahresurlaub mit
meiner Familie an.
Drei Tage waren wir im Ferienobjekt, da wurde ich an das Telefon gerufen: Anruf aus
Leipzig, der Dienststellenleiter des Hilfszuges, Kamerad Lohmeyer, rief mich zurück, ein
Fahrzeug sei schon unterwegs, mich abzuholen - ein neuer Einsatzauftrag:
Absicherung der Betreuung und Versorgung einer Einsatzgruppe der Wasserwirtschaft
der DDR zur Unterstützung bei der Bekämpfung der Hochwasserkatastrophe
in Ungarn!
Die ungarische Regierung hatte um Hilfe gebeten und seitens unserer Regierung wurde
eine Einsatzgruppe der Wasserwirtschaft mit 45 Fachkräfte für Hochwasserschutzbauten
berufen. Die Betreuung und Versorgung der Einsatzkräfte wurde dem DRK-Hilfszug
übertragen. Mit der Lösung dieser Aufgabe wurde ich als Gruppenleiter bestimmt.
Also, alles von Neuem, wie gehabt, nur einige Nummern kleiner!
Drei Fahrzeuge, Feldküche, ein Beleuchtungshänger, fünf hauptamtliche Kameraden, ein
ehrenamtlicher Kamerad als Koch, die notwendige Ausrüstung zur Unterbringung der
Einsatzkräfte in Zelten mit Betten und Versorgung von ca. 50 Personen mit Sicherstellung
der Vollverpflegung für ca. 4 Wochen sowie Sicherstellung der medizinischen
Erstversorgung. Wir wussten ja nicht, was uns erwartet und kannten den genauen
Einsatzort nicht.
Wir hatten zwei Tage Zeit, alles vorzubereiten und zu verladen, dann standen wir am
Grenzübergang und warteten auf die Einsatzgruppe der Wasserwirtschaft, die im Konvoi
aus Richtung Berlin anreiste.
Kurze Begrüßung und Vorstellung, der Grenzübertritt klappte ohne jede Wartezeit und auf
der Seite der ĈSSR (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) wartete bereits ein
Begleitkommando der Verkehrspolizei, die uns unter Sondersignal durch die ganze
Republik bis an die ungarische Grenze begleitete. Wieder ein schneller Grenzübertritt und
ein Begleitkommando der ungarischen Verkehrspolizei führte uns über Budapest bis nach
Szeged an der Südgrenze der ungarischen Volksrepublik. Erst hier wurde uns der
Einsatzort benannt. Wir erhielten die Aufgabe, die Stadt Hódmezovásárhely (deutsch
Neumarkt an der Theiß) vor einer Hochwasserkatastrophe zu schützen. Die Stadt
erstreckt sich auf einer Fläche von 488 km² und zählte rund 45.000 Einwohner.
Hódmezovásárhely ist die viertgrößte Stadt in Südungarn. Die Stadt liegt etwa 25 km
nordöstlich von Szeged, direkt an der Theiß.
Die Theiß führte zum Zeitpunkt unseres Eintreffens ein Hochwasser mit 10 Meter über
Normalpegel, an der Einsatzstelle zirka 6- 8 km breites Überschwemmungsgebiet und
etwa 90 km Wasserrückstau. Das Hochwasser staute sich bereits seit mehreren Wochen
und hatte die Schutzdeiche gegenüber der Stadt Hódmezovásárhely so aufgeweicht, so
dass sie jederzeit zu brechen drohten. Dies hätte zur Folge, dass die Stadt innerhalb von 6
Stunden mindestens 4 Meter hoch überschwemmt würde (Einschätzung der Fachleute der
ungarischen Wasserwirtschaft).
Im deutschsprachigen Raum bekannt wurde die Stadt bisher nur durch ihren (früheren)
Ortsteil Hódmezovásárhelykutasipuszta aus dem Roman "Ich denke oft an Piroschka"
von Hugo Hartung (auch verfilmt von Kurt Hoffmann). Mehr wussten wir bis zu unserem
Eintreffen nicht von diesem Ort, an dem wir in den nächsten Wochen zum Einsatz
kommen sollten.
Die Unterbringung der Einsatzkräfte erfolgte statt in unseren Zelten, in einem Schulinternat
und nach reichlich 52 Stunden auf dem "Bock" fielen wir nur noch in die Betten.
Am nächsten Morgen haben wir das Einsatzlager in einem Betriebshof einer Druckerei
aufgebaut und die Verpflegung für den ersten Einsatztag abgesichert (noch
Kaltverpflegung). Die Fachleute unserer Einsatzgruppe fuhren zum Deichabschnitt, um
sich einen ersten (erschreckenden) Eindruck über die Situation zu machen. Die
ungarischen Kräfte hatten den Bereich bereits aufgegeben, nur noch ein paar Deichläufer
- ausgerüstet mit Schrotflinten - sollten Warnschüsse abgeben, wenn der Deichabschnitt
bricht. Die ersten acht Tage durften auch nur die Fachleute von unserer Einsatzgruppe an
den Deich fahren, die unbedingt dort gebraucht wurden. Für uns, als Betreuungspersonal,
war dieser Abschnitt vorerst zu gefährlich.
Mit viel Schweiß, Handarbeit bei dem Ziehen von Drainagegräben unter vollem
Sonnenschein bei etwa 40 Grad, jede Menge Schlamm und Mücken, immer die Gefahr,
dass alle Bemühungen doch umsonst sein könnten, wurden zuerst die Sandsackwälle
rückgebaut, die völlig durchweichten Säcke zum Trocknen ausgelegt und versucht, die
Landseite des Deiches durch Drainagen zu sichern. Der Deich war in der Deichkrone
so breit, dass zwei LKWs aneinander vorbei fahren konnten und doch so durchgeweicht,
dass in den Auffangbecken aus Sandsäcken auf der Landseite bereits Fische von etwa 3
bis 4 cm schwammen.
Quelle: Raimund Schliebs
Auf dem Marsch:
Quelle: Raimund Schliebs
Quelle: Raimund Schliebs
Quelle: Raimund Schliebs
Quelle: Raimund Schliebs
Quelle: Raimund Schliebs
Küchendienst gilt für alle Kameraden:
Quelle: Raimund Schliebs
Quelle: Raimund Schliebs
Quelle: Raimund Schliebs
Vorleistungen für die nächste Mahlzeit:
Quelle: Raimund Schliebs
unser Einsatzplatz:
Quelle: Raimund Schliebs
Eine Hilfskraft wurde uns von der gastgebenden Druckerei gestellt:
Quelle: Raimund Schliebs
Der Chefarzt des Krankenhauses übernahm die ärztliche Betreuung:
Quelle: Raimund Schliebs